Das erste Mal
(Oder: Wie aller Anfang doch nicht so schwer ist)
Und ich lächelte hinauf in die Gesichter an den
„Da stehste ‘nu hinten uff’n Hof mit det Prachtstück,“ dachte ich mir, als ich
das erste Mal mit meiner Drehorgel „auf Tour“ ging. Bald zwei Jahre hatte
ich daran gearbeitet, viele Stunden im Keller zwischen Kreissäge und
Bohrmaschine, Holzlatten und Leimtopf verbracht. In den letzten Monaten
hatte ich im Wohnzimmer Draht zu etwa 4.000 Walzenstiften verarbeitet und
mich dann daran erfreut, wie die in die Holzwalze eingesteckten Stifte
langsam zu einer Melodienfolge wurden. Zig-mal hatte ich im Keller die teil-
weise noch halbfertigen Lieder zum Leidwesen der Nachbarn
durchgekurbelt, hier und da an den Stiften gerichtet und die Pfeifen
nachgestimmt und nachintoniert. Meine selbstgebaute Drehor-gel sollte doch
einen schönen Klang und haben und präzise spie-len.
Und nun war also Premiere. Mit Opas Melone, buntem Hemd und der Weste
meines „Hoch¬zeits- und Beerdigungsanzuges“ fein herausgeputzt, stand ich
nun hinter dem Leierkasten, die Kurbel in der Hand. Oh je, wie erschrak ich
mich als die ersten Töne über den Hof erklangen. Nun ja, ich hatte ja die für
uns damals noch erforderliche Genehmigung des Umweltschutzes betreffs
„Lärm¬be-lä¬sti¬gung ohne Kunst“ in der Tasche. Ich machte also
„ausnahm-sweise genehmigten Lärm“. - „Nur Mut und weitergedreht,“ dachte
ich mir und kurbelte möglichst gleichmäßig weiter. Da gingen auch schon
einige Fenster auf. Es ist schon ein komisches Gefühl, wenn einen plötzlich
so viele Leute ansehen. Ganz klein wollte ich werden, aber ich hatte mich
nun mal mit meiner Drehorgel in den Mittelpunkt dieser Hausgemeinschaft
gestellt. Jetzt gab es kein kneifen mehr. - „Lächeln mußte,“ hatte mal ein
Lehrer anläßlich einer Schulaufführung zu mir gesagt, „das überwindet das
Lampenfieber!“
Und ich lächelte hinauf in die Gesichter an den Fenstern. Das nahm meine
innere Verkrampfung ich blickte in nur freundliche Gesichter. Das beflügelte
mich. Ja, es machte plötzlich Spaß, denn offensichtlich war ich es, der hier
Freude bereitet hatte. Plötzlich war hier etwas los. Auf diesem grauen,
zementierten Hof, neben den Mülltonnen hatte ich an diesem
Sonnabendmorgen einen Hauch von „guter alter Zeit“ hereingebracht.
Plötzlich begann es Papierpäckchen zu „reg¬nen“. - Ach du liebe Güte, wie hebt man das denn auf, ohne die Kurbel loszulassen, ohne die Musik zu
unterbrechen? Na ja, erst mal artig bedankt, den Hut in diese Richtung gezogen (es war sehr warm darunter), und mich ein wenig verbeugt.
Das mit den Päckchen löste sich dann aber doch im Handumdre-hen: einige Kinder brachten sie mir an den Leierkasten. Damit hatten sie doch einen Grund
näher heranzutreten und die „Musik-maschine“ zu betrachten.-
„Und jetzt mal den Sportpalastwalzer,“ rief der Opa aus dem 3. Stock. Glücklicherweise konnte ich diesen Wunsch erfüllen, denn den habe ich auf der Walze.
Ein Vater kam mit seinem Sohn auf dem Arm und bestaunte die vielen Nägel, die zum richtigen Zeit-punkt die Töne zum klingen bringen. Es war auf diesem
Hof so eine richtig tolle Stimmung. Und als ich bei meinem Weggehen den Leierkasten durch die Toreinfahrt schob, sah ich, daß die Leute mit den Nachbarn
sprachen. Man sagt zwar, daß die Menschen heute immer weniger miteinander reden, aber hier war es an diesem Tag anders, und ich freute mich, daß ich
dazu den Anlaß gegeben hat-te.
Nun, lieber Leser, die anfängliche Angst ist im Laufe der Zeit ge-wichen. Aber jedesmal, wenn ich an einem schönen Sonnabend-morgen irgendwo meine
Orgel zum erstenmal erklingen lasse, habe ich doch noch ein wenig Lampenfieber. Aber wenn ich gegen Mittag die Päckchen auswickele und den „Beifall
des Drehorgel-spielers“ zähle, stelle ich fest, daß es meinem Publikum gefallen haben muß.
Falls wir uns einmal in unserer großen Stadt begegnen sollten, wünsche ich Ihnen Zeit und Muße damit Sie den Frohsinn, den eine Drehorgel zu vermitteln
vermag, in Sich aufnehmen können.
Bis dahin freundliche Drehorgelgrüße
Ihr Norbert Nakielski