Schließlich landete ich in der berühmten Fußgängerstraße, der „Freßgass“ mit den vielen Restaurants und Imbisshallen in denen viele Beschäftigte der umliegenden Büros ihre Mittagspause verbrachten. Meine Einnahmen gingen hier einigermaßen, obwohl ich sie vorher aufgrund der Dichte des Fußgängerverkehrs als besser eingeschätzt hatte. Aber auch hier waren es überwiegend zeitgehetzte Menschen, die Damen in korrekten Kostümen, die Herren in ihren dunklen Anzügen, weißen Hemden und mit korrekt sitzenden Krawatten beinahe alle gleich und uniformiert aussahen. Je eingehender ich sie betrachtete, desto nachdenklicher wurde ich. Denn schließlich war ich selber ja diesem Milieu lediglich für einige wenige Tage entschlüpft. Teils teilnahmslos, scheinbar ziellos zogen sie eisschleckend an mir vorüber, wohl noch in Gedanken mit der Arbeit der letzten Stunden beschäftigt. Einige saßen auf dem Rand eines Springbrunnens neben mir und unterhielten sich über ein Kreditproblem. Wider andere hasteten in die Restaurants, auffallend modisch gekleidete Frauen stöckelten mit Einkaufstüten über das Pflaster. Schließlich überkam mich der Gedanke, daß trotz aller Verschiedenheit wohl alle doch ein gemeinsames Ziel hatten: Die kurze, kostbare freie zeit der Mittagspause bei diesem schönen Wetter möglichst sinnvoll an der frischen Luft auszufüllen, und dabei doch das zu fühlen, es womöglich doch nicht zu schaffen. Aus meiner Verkleidung, aus dem Blickwinkel als etwas schmuddeliger Leierkastenmann heraus ah diese blanke, sterile Gesellschaft zu der ich normalerweise ja auch gehörte, eigentlich sehr gesichtslos aus. Und ich begann über mich selbst nachzudenken. Ich bin ja im „Normalleben“ auch so ein Büromensch“. Bin ich etwa auch so gesichtslos? Und es war erstaunlich, wie die Welt doch aussieht, wenn man mal in eine Verkleidung schlüpft, sozusagen inkognito alles einmal von einer anderen Seite sieht, nicht nur einen Spiegel betrachtet und dabei nur das sieht, was man selbst sehen will. So war für mich der Tag in Frankfurt nicht nur wegen der Einnahmen für mein Abendessen, sondern auch für mich persönlich ein sozialer Gewinn. Gegen Abend verdichteten sich die Wolken am Himmel, ein Gewitter zog auf. In Frankfurt auf die Schelle ein preiswertes Zimmer zu suchen erschien mir aussichtslos und ich fuhr hinaus in den Taunus, wo ich in einem Hotel erst einmal die Annehmlichkeit eines warmen Duschbades genoß. Den nächsten Tag hatte ich mir für einen Besuch in Rüdesheim vorgesehen. Auf dem Wege dorthin spielte ich „schnell“ noch in einem Ort für mein Mittagessen und am Nachmittag wollte ich das Musikautomatenmuseum des Siegfried Wendel besuchen. Jedem Freund mechanischer Musikinstrumente ist diese nämlich ein Begriff und auf jeden Fall ein Besuch wert. Dieser Siegfried hat ja anerkannt schöne Automaten und Instrumente zusammengetragen. Für mich als Hobby-Drehorgelbauer war natürlich die erhalten gebliebene Werkstatt des Drehorgelbauers Baccicalupo aus der Schönhauser Allee in Berlin von besonderem Interesse. Ich hatte auch das Glück, daß sich Siegfried für mich einige Zeit nahm, in meiner Drehorgel hineinsah und mir gute Tips gab, die ich später beim Bau meiner zweiten Drehorgel verwendete. Auch die dem Museum angegliederte Restaurationswerkstatt konnte ich mir ansehen. Alles in allem war es ein für mein Hobby sehr befruchtender Besuch gewesen. Natürlich bummelte ich auch noch ein wenig durch das touristischen Rüdesheim, und gegen Abend machte ich mich wieder auf die Suche nach einem „stilechten“ Schlafplatz im Freien, denn das Wetter war wieder freundlicher geworden. Während der Dämmerung ging ich ein Stückchen einen Waldweg hinein. „Vielleicht ist doch noch eine Schutzhütte gegen eventuellen Regen zu finden,“ dachte ich mir. Der Weg machte eine Biegung - und plötzlich war vor mir ein fahlroter, schauerlicher Lichtschein. Ein jäher Schreck durchfuhr mich. Fast gelähmt blieb ich stehen, mein Puls raste. In meinem Schrecken wollte ich zurücklaufen, doch im letzten Moment besann ich mich. Hast in Angst ist immer falsch zumal der unebene Weg in der Dämmerung nicht mehr genau zu erkennen war. Und überhaupt: Angst! Wozu? Worüber? Dieser unheimliche Lichtschein musste eine Erklärung haben. Schließlich ging ich klopfenden Herzens tapfer darauf zu: Es war eine kleine Mariengrotte gewesen und vor einer kleinen Marienstatue brannten etwa 30 bis 40 Opferlichte in ihren roten Plastikgefäßen. Offensichtlich war hier erst vor kurzem eine Pilgergruppe gewesen. Beinahe hätte ich über mich selbst gelacht, aber der Schreck steckte mir noch in den Knochen.
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